Mehr Anarchie fürs Klima!

Der Text wurde von einer/mehreren Einzelperson/en geschrieben. Er spiegelt nicht die Meinung und Erfahrung der ganzen Besetzung wieder. Der Text will einen Anstoß für anarchistische Diskussionen darstellen.

Es ist gerade stürmisch, wenn ich diese Zeilen schreibe, der Baum hinter mir bewegt sich ebenso wie die Wipfel der umliegenden Douglasien und Buchen. Es ist eine flache, aber wahre, Metapher dies auf die aktuellen Zeiten zu übertragen. Wir leben in stürmischen Zeiten. Wortwörtlich. Turnados, Hitzesommer, Hochwasser, Dürreperioden und steigende Meeresspiegel sind nur einige Indizien für die auf uns bereits angebrochenen Klimakatastrophen. Parallel schaffes es autoritäre Welterzählunge, ob islamistischer, klassisch faschistischer oder verschwörungsideologisch antisemitischer Art, gemeinsam mit anderen Feind*innen des Lebens (wie Evangelikale) tausende, teils Millionen von Menschen zu mobilisieren. In der Politik stehen die Zeichen auf Krieg, ob von der Türkei gegen die befreiten Gebiete in Nordsyrien, oder zwischen den imperialistischen Staaten(bünden) Nato und Russland in der Ukraine. Dem entgegen stehen hundertausende, und auch Millionen, die für Feminismus, Dekolonialisierung, Antirassismus, Ernährungssouveränität, eine lebendige Umwelt, gegen Überwachung, für Selbstverwaltung, kurz ein würdiges Leben auf die Straße gehen und versuchen diese Welt wieder zurückzuerobern.

Besch Bleibt! als Keimzelle

Auf einer imaginären Karte der emanzipatorischen Kämpfe würde der Besch, wo ich mich gerade befinde, einen klitzekleinen Punkt ausmachen. Auf den ersten Blick ist es “nur” eine Waldbesetzung, eine direkte Aktion, gegen ein zerstörerisches Bauprojekt, den Moselaufstieg. Mit dem zweiten Blick wird erkennbar, es ist auch ein Projekt für eine befreite Zukunft, ein Ort wo wir versuchen unabhängig(er) von gängigen Strukturen zu leben, ein Leben vorstellbar zu machen, was nicht auf diversen Formen der Herrschaft beruht. Ein Raum der potentielle Revolutionen nicht nur denkbar machen kann, sondern Formen der Reflexionen und Beziehungsknüpfung ermöglicht, welche für revolutionäre Prozesse notwendig sind.
Für Trier ist dies leider der einzige von Staat, Kapital und Kirche unabhängige Raum für radikale Politiken, der somit eine Rolle als Keimzelle haben müsste, auch für andere anarchistische Projekte und Gruppen. Der Aufbau einer herrschaftsfreien (=anarchistischen) Welt benötigt, alleine schon aus einer praktischen, mindestens aber aus einer dialektischen Perspektive Orte von denen die alte Gesellschaft zerstört werden kann. Die neue Gesellschaft muss in der Schale der alten aufgebaut werden. Wir brauchen Räume die einerweits gewisse Aspekte der Utopie vorwegnehmen, andererseits Platz für Kämpfe, Organisierungsformen, Reflexionen, eine Ausweitung der Autonomie, der befreiten Zonen, und Anknüpfungspunkte an nicht Anarchist*innen bieten.
Für die Errichtung von anarchistischen Gesellschaften gibt es eine Vielzahl an Strategien und Taktien, die zusammenfassen hier den Rahmen sprengen würde, aber ein (Teil)Weg ist auf jedenfall die aktive Beteiligung in sozialen Kämpfen/Bewegungen. In Bezug auf Trier erkenn ich aktuell zwei (relevante) Bewegugen in denen libertäre Akteur*innen bereits aktiv sind und in denen potentiell revolutionäre Keime gesetzt werden können:
-die Klima(gerechtigkeits)bewegung und
-die feministische Bewegung
Aus den bisherigen Mangel an (aktiver) Beteiligung in der feministischen Bewegung, in welcher ich größeres revolutionäres Potential sehe, werde ich mich auf die Umweltbewegung beziehen.

Analyse der lokalen Klimabewegung

In Trier lassen sich meiner Perspektive nach drei “Flügel” in der Klimabewegung finden, zum einen den lokalen FridaysForFuture (FFF) Ableger, welcher den Grünen nahe steht, sowie aktionsmäßig und politisch gemäßigte Gruppen und NGOs um das FUZ (Friedens und Umweltzentrum). Das Umfeld der beiden Gruppen schätze ich als relativ hoch ein, so konnten beim letzten globalen Klimastreik über 1000 Menschen mobilisiert werden. Zusätzlich gibt es noch einen anarchistischen Flügel, der einerseits aus der plattform Lokalgruppe besteht, andererseits aus der anarchistisch orientierten Waldbesetzung, und dem Umfeld der autonomen Klimagruppe “Dezernat V”. Die Waldbesetzung als eigenständige Akteurin hat dabei auch ein eigenes Umfeld, welches insbesondere in den vom Moselaufstieg betroffenen Ortschaften Igel, Trier-Zewen, Trier-Herresthal, Liersberg und Fusenig (Trierweiler) liegt.
Sowohl die Zusammensetzung des Stadtrats (rot-grüne Mehrheit) als auch das Mobilisierungspotential der Klimabewegung lassen auf ein existierendes Problembewusstsein hinsichtlich der ökologischen Krisen erkennen; wobei sowohl “Naturereignisse” wie die Flutkatastrophe im Juli 2021, als auch die enorme Vehrkehrsbelastung Triers, Diskussionen um eine Seilbahn, Mobilitätswende, den Moselaufstieg, aber auch die Globus-Ansiedlung und das Industriegebiet Mehringer Höhe das Thema dauerhaft auf der Tagesordnung halten. Die Klimabewegung ist dabei stark von ihrem Klassencharakter (Mittelklasse und Bildungsbürgertum) geprägt und bleibt dadurch (teils ungewollt) in einem rein appelativen Zustand an die Herrschenden hängen. Aber das (antikapitalistische) Klimacamp im Frühjahr 2021 und eine autonome Waldbesetzung bieten ebenso wie ein bisher aktives Engagement in der Bewegung gute Ansatzpunkte für anarchistische Positionen.

Perspektiven für anarchistische Positionen in der Klima(gerechtigkeits)bewegung

Ich bin überzeugt davon, dass es Möglichkeiten gibt herrschaftsfreie Perspektiven weitaus stärker als bisher in der Klimabewegung als auch in der Trierer Stadtgesellschaft zu verankern. Für explizit anarchistische Akteur*innen sollte dabei ein stärkerer Fokus auf den Gerechtigkeitsaspekt, sowohl lokal als auch mit internationalistischer Perspektive, gelegt werden. Das hat die plattform Trier bei unserer Kundgebung am 29. Januar auch versucht, aber Länge und Sprache der Rede waren absolut nicht angemessen, also zu anstrengend für eine (regnerische) Kundgebung(1), was den Versuch und den Inhalt nichts schmälern soll. Klimapolitisch ist die Verkehrsdebatte die aktuellste und dringenste, was großes Potential für Anarchist*innen bietet. Durch eine inhaltliche Ausweitung des Themas, anarchistische und antikapitalistische Interventionen, als auch eine praktische Diversifizierung hinsichtlich Aktionen und Praktiken könnte dies erreicht werden.
Drei Wege erscheinen mir dafür am sinnvollsten.

1. Die Entwicklung eines Verkehrswendeplans von unten
Die Mobilitätswendewende geht in Trier nur sehr langsam voran. Während es theoretisch den Wunsch danach gibt, Menschen sich dafür begeistern lassen und sogar auf die Straße gehen, findet der Wandel nur sehr sehr langsam statt. Die selbstgesetzten Ziele der Stadt sind teils nicht bekannt und die Umsetzung wartet bis zur letzten Minute. Eine Alternative wäre ein Plan von unten. Als Aktive, Einwohner*innen, Wissenschaftler*innen, sogar Mitglieder der Bürokratie, von Vereinen, Gruppen, NGOs könnten wir in einem bunten Netz einen Plan entwickeln, der sowohl radikal ist, als auch umsetzbar. Dafür könnte es ein Bündnis oder eine Initiative geben, aber auch einfach einen Plan an den viele mitarbeiten, ohne Label und Logo. So könnten sogar widersprüchliche Akteuer*innen sich beteiligen. Die CDU hat sich wegen den Fahrpreiserhöhungen beschwert, in diesem ganz konkreten Fall potenziell also auch eine Verbündete? Und durch ein fehlendes Label, aber den gemeinsamen Bezug auf den Plan, könnte eine enorme Kraft entwickelt werden. Vielfältige, legale und illegale Aktionen könnten nebeneinander stehen, ohne das wer aus einem Bündnis austritt, da es dies nicht gibt. Der einzige gemeinsame Nenner ist der Plan. Dieser sollte radikal sein und nicht bereits im Vorhinein wegen Akzeptanzängsten abgeschwächt werden. Autofreie Innenstadt! Nulltarif in Bus und Bahn! Große Fahrradstraßen und dafür nichts planieren, sondern Autostraßen verkleinern! Für nicht so mobile Menschen, bspw. Rollstuhlfahrer*innen oder Menschen mit Gehbehinderung Wege finden, die verhindern das diese dadurch ausgeschlossen werden. Die Stadtteile besser anschließen und bei einer Stadt wie Trier natürlich auch nicht vergessen das Umland besser anzubinden. Und wie wäre es eigentlich mit einer Straßenbahn, Seilzügen, mehr Bussen die Räder mitnehmen können?
Dieser radikale realpolitische Weg nach dem Beispiel des Verkehrswendeplans von Gießen, bietet ein praktisches Betätigungsfeld für alle, aber durch die direkten Aktionen, den selbstorganisierten und anti-hierarchischen Charakter ein starkes Potential für anarchistisches Engagement. Um den sozialen Aspekt aber nicht hinten anfallen zu lassen, sollten Anarchist*innen sich insbesondere gleichzeitig dafür engagieren, in als benachteiligt geltenden Stadtteilen anzufangen im Zuge von Arbeiten für eine Verkehrswende, Strukturen und Beziehungen zu errichten, die nachfolgenden Gentrifizierungsversuchen standhalten können. Widerständige Stadtteile könnten parallel aufgebaut werden, immerhin geht es um unser aller Recht auf Stadt! Wir als Einwohner*innen sollten selber entscheiden wie unsere Stadt aussieht. In Richtung einer potentiellen Arbeiter*innenbewegung, sollte eine Organisierung in dem Umfeld der SWT sowie den Industriegebieten in stärkeren Betracht gezogen werden. Die SWT ist einer der größten Arbeitgeberinnen der Stadt, dies würde sich durch einen Ausbau des kostenlosen ÖPNV nur verstärken, also liegt dort ein enormes Potential für klassenkämpferische Auseinandersetzungen.

2. vielfältige Aktionen mit herrschaftskritischen Charakter
Dies ist vielleicht eher als Unterpunkt des ersten zu sehen, kann aber auch für sich stehen. Anarchist*innen sollten sich, sowohl zum Umfeld der Waldbesetzung, als auch unabhängig davon, mit direkten selbstermächtigenden Aktionen beteiligen, die klarmachen das es nicht nur um kleine Reformen geht, sondern auch um die Errichtung einer selbstorganisierten herrschaftsfreien Welt. Den Aufbau von autonomen Strukturen. Ob es eine militante Aktion ist wegen Fahrpreiserhöhungen, ein Gehzeug mit Transpis oder eine Kundgebung, überall sollten leicht verständliche Flyer, Transparente, Reden zur Verbindung von Herrschaftsverhältnissen und Umweltzerstörung auftauchen. Die Errichtung eines antikapitalistischen und herrschaftsfreindlichen Grundkonsenses dauert lange, sollte aber auf jeden Fall immer eine Rolle spielen.

3. Bildungakademien
Ein Punkt der eine größere Auseinandersetzung braucht, aber vor allem mit der Perspektive der Anarchie mir sinnvoll erscheint sind Bildungsakademien nach dem Vorbild der kurdischen Genoss*innen. Nicht nur im Umweltbereich sollte es Akademien und Veranstaltungen geben um das Bewusstsein hinsichtlich des Zustandes der Welt zu verbessern und Wege zu einer befreiten Gesellschaft zu finden. Niedrigschwellige Veranstaltungen, Wochenenden, Vorträge, Workshops, Skillshare-Wochen, Filmvorstellungen, Klimacamps, aber vor allem auch Diskussionen können und da in Bezug voranbringen. Leicht erreichbar, am besten überall, an möglichst vielen Orten, sollten diese errichtet werden. Das Potential der Akademien ist groß und eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Konzept der Befreiungsbewegung sollten wir mehr als nur in Betracht ziehen.

Die Rolle der Waldbesetzung

Zum Ende möchte ich noch einmal auf die Waldbesetzung eingehen. Seit am 13. Mai 2021 der Wald besetzt wurde hat sich einiges getan, wir haben bewohnbare Strukturen gebaut, ein erstes Netzwerk errichtet das uns unterstützt und mit dem wir gemeinsam kämpfen. Innerhalb der Besetzer*innen hat sich einiges getan, wir haben viel gelernt, baulich, theoretisch, auch über uns. Nicht alles ist perfekt, aber wir gehen weiter fragend voran. Wir hatten Besuch von Genoss*innen aus Chiaps, aus England, Frankreich, Luxembourg, sowie vielen deutschen Städten. Alte und Neue Freund*innen sind vorbeigekommen. Wir haben sowohl als Besetzung, als auch als autonome Gruppen mit Aktionen die Debatten um den Moselaufstieg (neu) angeheizt und vorangetrieben. In den betroffenen Ortschaften haben wir die Diskussionen um die Straße wieder ins Bewusstsein gebracht und durch das großflächige Flyern vor unserem Herbstfest sollten die meisten wenigstens einmal von uns gehört haben. Da aktuell fürs erste keine Rodung und Räumung zu erwarten ist, haben wir einen perfekten, autonomen Ort geschaffen um von hier aus intensiver in die Stadtpolitik zu intervenieren. Wir haben einen Raum für Veranstaltungen geschaffen, für Reflexionen, Aktionsvorbereitungen mit explizit herrschaftskritischen Anspruch. Dieser muss jetzt nur noch genutzt werden. Versuche unsererseits dies zu beginnen, wurden nur bedingt angenommen, das Konzept der Kultursamstage/sonntage ist fürs erste nicht aufgegangen, dafür gibt es ab jetzt regelmäßige Plena an denen Interessierte teilnehmen können.

Vernetzung, Diskussion und Intervention

Aktuell erscheint mir die anarchistische Bewegung in Trier etwas gespalten, einerseits in dieplattform Trier, als auch die Waldbesetzung mit ihrem Umfeld. Größtenteils kennen wir uns gegenseitig, haben uns schon gemeinsam organisiert, Aktionen gemacht, treffen uns auf Demos und Kundgebungen, wo wir uns doch, ob gewollt oder nicht, immer wieder zusammenfinden. Ein wenig scheitert es aber aktuell an der gemeinsamen Zusammenarbeit. Eine gemeinsame Vernetzung oder Koordination ist nicht existent. Diskussionen über unterschiedliche Positionen, zu anderen Diskursen die überregional geführt werden, gemeinsame Veranstaltungen finden eher nicht statt, um von gemeinsam koordinierten Aktionen nicht zu sprechen. Ich wünsche mir, dass sich das ändert. Ideen die ich in den Raum werfen möchte sind ein regelmäßiges Plenum ohne Entscheidungsstruktur, sondern nur zum Austausch; externe Arbeitsgruppen wo Menschen nur bedingt abhängig von ihrer Gruppe sich gemeinsam organisieren, oder eine offene Plattform zum Austausch von Aktionsideen oder der Praxis, oder ein Medium. Eine Möglichkeit dafür bietet “Die Distel”, der Versuch einer autonomen kleinen Zeitschrift für eine widerständige Umweltbewegung in Trier (2). Die Perspektiven diesen Projektes hängen auch maßgeblich von der Akzeptanz und Verbreitung dieser ab, welche aktuell noch sehr gering ist. Aber ein solches Medium halte ich für extrem relevant und sehe darin sehr großes Potential früher oder später auch Menschen außerhalb der kleinen Szene zu erreichen.

Abschluss

Für anarchistische und revolutionäre Kräfte, bietet wie bereits erläutert die Besetzung das Potential einer Keimzelle, und ich hoffe, nein, fordere euch auf dieses mit zu nutzen um gegenseitige Synergien zu schaffen und irgendwann, Revolutionen wirklich denkbar zu machen. Dafür müssen wir aktiv sein, Gerechtigkeitsaspekte stärken, zeigen das wir nicht nur reden (was das Projekt eines Verkehrswendeplanes von unten mit aktiver anarchistischer Beteiligung zeigen würde) und auch nicht nur Aktionen machen, welche dann von anderen gerne medientechnisch angeeignet werden.

Also lasst uns mehr Anarchie nach Trier und in die Klima(gerechtigkeits)bwegung bringen!

Sichtbar machen

Dieser Text ist primär aus der Feder einer einzelnen Person entstanden, aber dies so zu akzeptieren würde unsichtbar machen was und wer alles in den Prozess involviert war. Nichts in diesem Text ist wirklich neu, oder von mir erdacht worden, sondern Ergebnis von monatelangen Diskussionen mit Genoss*innen, Gefährt*innen, Freund*innen, sowie Reflexionen, individuellen und kollektiven Bildungsprozessen, Beobachtungen, Austausch und schlussendlich auch von allen individuellen Erfahrungen und Sozialisierungen geprägt. Die Annahme das eine Ausformulierung das Produkt einer singulären Person ist, ist absurd und verdeckt die konstant vorhandenen kollektiven Aushandlungsprozesse. Anzuerkennen, dass auch akademischere Texte Ergebnis von Kooperationen sind, mag uns voranbringen die Isolierung des Individuums in der kapitalistischen Gesellschaft zu überwinden und anzuerkennen, was für kollektive Leistungen wir dauerhaft schaffen. Und da es vielen ja wichtig ist, in der Gesellschaft profitiere ich tendenziell eher von Privilegien als das ich von Diskriminierung betroffen bin.

(1) https://trier.dieplattform.org/2022/01/29/redebeitrag-zur-verkehrswende-kundgebung-am-29-01-22-in-trier/

(2) existierende Druckexemplare der ersten Ausgabe befinden sich im Wald